Filmbeschreibung


Nehmen Sie Platz, signore
ein Film von  Klaus Lutze


Schon der Anfang zeigt, daß Klaus Lutze immer wieder gute Ideen hat und diese in die Tat umsetzt. Mit einer Wiese fängt es an und tiefgründig wird uns gesagt, daß man diese Bilder zwar sehen und immer wieder reproduzieren kann, den Geruch aber mitnehmen muß. Und dann geht’s sofort zum Stuhl, auf dem der werte Zuschauer Platz nehmen soll. Und der steht eigentlich in einem kleinen Fischerdorf in Süditalien, wo es keine so schönen Wiesen gibt, aber Atmosphäre. Diese ist tatsächlich vorhanden und zieht sich durch den ganzen Film, und damit nimmt uns der Autor von Anfang an mit.
Auf der Fahrt nach Süden machen wir einen kleinen Abstecher in den Golf von Neapel, in dem typische Bilder und Szenen für und von Touristen gezeigt werden. Auch eine Braut in Weiß darf nicht fehlen. Aber Klaus sagt uns unmißverständlich, daß das hier nicht das ist, was er sucht. Es bleibt eine kurze Durchgangsstation.
Das Herz des Autors schlägt höher, als er auf einer wenig befahrenen Straße über Berge und Täler des Apennin nach Süden fährt und dabei ein herrliches Panorama  und verschlafene kleine Ortschaften genießen kann. Ein Dorf dort wird uns näher gezeigt. Wir sehen alte, knorrig wirkende Leute in den engen Gassen und vor alten Häusern, die aus dem Mittelalter zu stammen scheinen. Das alles paßt zusammen: die Alten und die Umgebung: Vergangenheit herrscht, nicht Zukunft! Ein anderes Dorf ist total verlassen, die Bewohner hatten offensichtlich keine Hoffnungen mehr auf bessere Lebensaussichten in ihrem Ort. Die Gebäude zerfallen, die Natur holt sich ihr Land zurück. Einsame Straße, einsame Ortschaften auf Bergrücken, einsame, aber nicht unzufrieden wirkende Dorfbewohner: die typische Stimmung dieses Landstrichs  kommt gewaltig rüber.
Und dann ist Klaus endlich an seinem Ziel: Pisciotta, ein kleines Fischerdorf im Süden Italiens. Das Meer ist wieder da, ein kleiner Hafen, Häuser, Treppen und Gassen, so wie man sich eine kleine Ortschaft an der italienischen Steilküste vorstellt. Klaus bekommt auch sofort Kontakt zu den Einheimischen. Er erhält den Schlüssel und findet nach einigem Suchen und Treppensteigen auch sein Domizil.
Was dann im Film geschieht, ist reine Folklore. Es passiert eigentlich nichts Weltbewegendes, und trotzdem pulsiert das Leben, das sich in dieser Ortschaft fast ausschließlich auf der Straße und in den Tavernen abspielt. Männer sitzen in der Kneipe beim  Kartenspiel und trinken, am Marktplatz wird gehandelt, Buben treten Fußball auf der Straße, man sitzt in der Osteria am Straßenrand, schaut  und trinkt Wein. Man hat den Eindruck, daß alle offensichtlich zufrieden sind und keine anderen Abwechslungen brauchen. Der Verkauf von Ziegenkäse in einer Stube (Laden kann man das nicht nennen) an die Frau vom Klaus gelingt trotz einiger Sprachschwierigkeiten einwandfrei. Auf dem Weg zum 1 km entfernten Hafen über kleine Bergpfade wird man Zeuge eines “Spaziergangs zu zweit”, zwischen einer Ziege und einem alten Mann mit Stock. Der Rückweg führt durch Olivenhaine. Hier erfährt man auch, daß in der Ölmühle die Ursache für den wirtschaftlichen Wohlstand des Ortes zu suchen ist. Sonntags geht man in die Kirche oder bleibt draußen am Vorplatz stehen, von wo aus man ein herrliches Panorama genießen kann. Zum Schluß gibt es noch ein Volksfest in der Pizzeria. Esel hatten vorher schon das Holz für den Ofen nach oben über steile Wege und Treppen geschleppt. Örtliche Gesangssolisten verschönern den Abend – bis das Licht ausgeht,  mitten in der Nacht.  Und so endet auch der Film.
Unser Autor hat das alles in gekonnter Manier eingefangen. Man ist mitten drin und spürt die Atmosphäre hautnah. Das typisch italienische Temperament bei Land und Leuten kommt rüber. Man lebt mit,fühlt sich zu Hause und weiß auch gleich, daß hier keine normalen Touristen anzutreffen sind. Herrliche Großaufnahmen und Panoramabilder sowie Kamerführung, Bildschnitte, Kommentar und einfühlsame Musik treffen das Typische und bilden eine Einheit. Kein Wunder, daß dieser Film so gute Noten bekam.


Bewertung:  4,180


Raimund Wildenhof